Die erfolgreichsten Langstrecken-Piloten 1947 bis 2021

Piloten-Rangliste auf Basis aller Endurance-Rennen 1947 bis 2021

Wir kennen das Spiel aus der Formel 1-Szene: Viele Statistiken sind da bemüht worden, den „größten Formel 1-Fahrer der Renngeschichte“ zu ermitteln, ohne dass man am Ende zu einem allseits anerkannten Resultat fand: Kann man Schumacher, Senna, Prost, Stewart, Clark, Fangio, Caracciola oder Nuvolari überhaupt in eine Rangfolge zwängen?

Im Endurance-Rennsport ist die Angelegenheit noch schwieriger, da man nicht auf eine über viele Jahrzehnte lückenlose Kontinuität wie in der Formel 1 zurückblicken kann. Außerdem standen hier meist die Fahrzeuge stärker im Mittelpunkt der Meisterschaften, weniger die Fahrer. Immerhin hatte ich in einem Bericht vom Januar 2012 einen Versuch unternommen, den erfolgreichsten Sportwagen oder Prototypen der Endurance-Geschichte zu ermitteln. Tatsächlich ragen – wie die Auswertung der Siege in Langstreckenrennen eindeutig zeigte – zwei Sportwagen heraus: Der Porsche 956/962 der Jahre 1982 bis 1991 und der Audi R8 aus der Zeit 1999 bis 2006. Danach folgt mit dem Alfa Romeo 8C 2300 (bzw. 2600 oder 2900) bereits ein Sportwagen aus der Vorkriegszeit.

Wie sieht es nun bei den Piloten der Langstreckenrennen für Sportwagen aus? Da es über die meisten Jahre der Endurance-Geschichte keine Fahrer- sondern nur eine Markenwertung gab (oder überhaupt keine Langstrecken-WM stattfand), ist die Aufgabe eine belastbare Piloten-Rangfolge zu finden fast unmöglich. Jeder Versuch ist mit persönlichen Einschätzungen und Entscheidungen zum Wertungsmodus oder gar mit Präferenzen des Statistikers verbunden. Der britische Journalist, Buchautor und Le Mans-Experte Quentin Spurring hat es in den 1990er Jahren einmal versucht. Seine Liste der Top 20 wurde damals im deutschen Journal „GT Racing“ (Nr. 4/1997) veröffentlicht. Sie ist eine Kombination nackter Statistik (Siege in Sportwagen-WM-Rennen), persönlicher Einschätzung und vielleicht auch einer leichten Präferenz für britische Piloten. Hier die „Top 10“ der Spurring-Liste von 1997: 1. Stirling Moss / 2. Jacky Ickx / 3. Pedro Rodriguez / 4. Jo Siffert / 5. Phil Hill / 6. Brian Redman / 7. Olivier Gendebien / 8. Derek Bell / 9. Henri Pescarolo / 10. Bob Wollek.

Die Rangliste, die hier im Folgenden für die Nachkriegsjahre ab 1947 vorgestellt wird, basiert allein auf den Rennerfolgen. Andere Qualitäten der Piloten wie Rennspeed, Charisma oder Popularität werden nicht berücksichtigt – es zählen allein die Siege bei den Langstreckenrennen der wichtigsten internationalen Sportwagenserien, normalerweise also der Sportwagen- oder Prototypen-Weltmeisterschaft. Die Beschränkung auf die Siege und die Entscheidung, weitere Platzierungen nicht in die Wertung einzubeziehen, ist natürlich bereits eine starke Vereinfachung. Und mit der Auswahl der relevanten Rennen kommt ein zweites Kriterium hinzu, über das man diskutieren kann.

In die Wertung werden alle wichtigen internationalen Endurance-Rennen mit (nahezu) 1000 km Distanz bzw. 6 Stunden Dauer oder mehr aufgenommen, sofern sie für Sportwagen bzw. Prototypen zusammen mit GT-Fahrzeugen ausgeschrieben waren, unabhängig davon, ob sie WM-Status hatten oder nicht. Mindestdistanz für die volle Wertung sind 750 km, bei Distanzen über 500 bis 750 km werden die Rennen zur Hälfte gewertet (dazu zählen auch Rennen, die bei dieser Distanz abgebrochen wurden). Rennen mit 500 km und weniger wurden nicht gewertet, auch die unter 500 km vorzeitig abgebrochenen Rennen wurden nicht gezählt. Eine Datei zeigt alle gewerteten Rennen seit 1947 (volle oder halbe Wertung): Bis 2021 waren es 557,5 Rennen in 75 Jahren.

Ein weiteres Problem, das zu lösen ist, stellt die Zählung der Siege bei Langstreckenrennen dar. Natürlich kann man einfach eine Strichliste führen – ein Sieg gleich ein Strich bzw. ein Punkt – so wie man es häufig bei Formel 1-Statistiken macht. Dabei ergeben sich allerdings einige Unzulänglichkeiten:

Erstens haben wir bei Endurance-Rennen Fahrerteams, bestehend aus zwei, drei oder mehreren Piloten, in den 1950er Jahren gab es gelegentlich auch Einzelfahrten oder Fahrten mit Co-Piloten, die nur als technischer oder Navigationshelfer mitfuhren (z.B. bei der Mille Miglia). Soll man den Erfolg des Piloten eines Dreierteams nun genauso (mit einem Punkt) bewerten wie den Erfolg bei einer Alleinfahrt? In der hier gezeigten Rangliste wurde tatsächlich so verfahren, darüber kann man natürlich trefflich diskutieren. Es wurde auch nicht zwischen „A-Fahrer“ und „B-Fahrer“ unterschieden.

Zweitens ist die Zählung der Rennerfolge in einer „Strichliste“ insofern unfair, weil in der Rennhistorie pro Saison eine sehr unterschiedliche Anzahl von Langstreckenrennen stattfand, so z.B. nur drei „echte“ Endurance-Rennen in den Jahren 1989 bis 1991, dagegen 12 oder 13 Rennen in der Blütezeit der Gruppe C (1984/1985). Das ist übrigens ähnlich wie in der Formel 1, wo im Jahr 2021 22 Rennen stattfanden, in den Jahren 1950 oder 1955 dagegen nur sechs Rennen (ohne Indianapolis). Der arme Fangio hatte also viel mehr Mühe seine 24 Grand Prix-Erfolge einzufahren als z. B. Sebastian Vetteln seine 53 Siege, beide Zahlen lassen sich kaum miteinander vergleichen. Hier wird im Folgenden neben der einfachen „Strichliste“ (ein Sieg = 1 Strich bzw. 1 Punkt) eine zweite Liste erstellt, bei der so getan wird, als hätten in jeder Rennsaison genau 10 Rennen stattgefunden. Ein Sieg in einer Saison mit nur 5 Rennen würde also mit 2 Punkten bewertet, ein Sieg in einer Saison mit 10 Rennen mit genau einem Punkt usw.

Und schließlich drittens: Sollte man nicht den Saisonhöhepunkt Le Mans höher bewerten als die anderen Rennen einer Saison? Am einfachsten wäre es, für jeden Le Mans-Sieg noch einen zusätzlichen Sonderpunkt zu vergeben. Dies führt zu einer dritten Punktliste, bei der allerdings auch die Mille Miglia-Siege der Jahre bis 1957 mit doppelter Punktzahl bewertet wurden.

So gibt es am Ende drei Ranglisten: (a) nach Anzahl der Siege (einfache Strichliste), (b) nach Punkten, pro Saison und Fahrer maximal 10 Punkte, und (c) nach Punkten wie in Liste (b) plus je ein Sonderpunkt für jeden Le Mans- und Mille Miglia-Sieg. Bis 2021 sahen diese Listen (siehe folgender Link) wie folgt aus:

Strich- und Punkteliste

In der Strichliste liegt Jacky Ickx mit 35 Endurance-Siegen unangefochten an erster Stelle. Die nächste Gruppe mit Derek Bell (Platz 2), Henri Pescarolo, Jochen Mass, Tom Kristensen, Alan McNish und Brian Redman hat 22 bis 19 Siege und folgt schon mit großem Abstand. Die Plätze 8 bis 10 belegen Sebastien Buemi, Rinaldo Capello und Brendan Hartley. Von den 2021 in der LMP-Klasse aktiven Piloten haben Buemi (17,5) und Hartley (16) die meisten Siege zu verzeichnen, vor allem die Toyota-Piloten Buemi, Hartley und Kobayashi können nach 2021 noch kräftig nachlegen. Eine Neuberechnung der Ranglisten ist für 2024 geplant, dann wird sich diese Vermutung wohl bestätigen.

In der Punkteliste (mit Mille Miglia- und Le Mans-Sonderpunkten) sieht die Sache anders aus. Hier liegen Kristensen und Ickx fast auf Augenhöhe (43 bzw. 40 Punkte), Monsieur und Mister Le Mans bleiben dabei deutlich vor ihren Verfolgern, die von Derek Bell angeführt werden (30 Punkte). Knapp dahinter folgen die langjährigen Audi-Piloten Capello (28) und McNish (28), die beiden Le Mans-Ferrari-Stars Gendebien (28) und Phil Hill (27) und Urgestein Pescarolo (26). Weitere Endurance-Stars wie Biela (24), Mass (23), Pirro (22) oder Wollek (21) folgen dahinter. Der in dieser Liste erfolgreichste aktive LMP-Pilot Buemi hatte 2021 Rang 14 (20 Punkte) erreicht.

Vergleicht man die Liste mit der oben genannten Aufstellung von Quentin Spurring, fehlen aus seiner Top Ten-Liste vier Namen: Stirling Moss, von Spurring auf Platz 1 gesetzt, war in den Jahren 1955 bis 1961 unbestritten der beste Sportwagenpilot. Trotzdem gelangen ihm insgesamt nur elf Siege in Langstreckenrennen, und gemessen an den Punkten der Liste (c) kommt er nur auf Platz 13. Seine atemberaubenden Auftritte bei der Mille Miglia (1955) oder mehrmals bei der Targa Florio, am Nürburgring oder in Goodwood lassen sich mit einer spröden Rennstatistik eben kaum richtig wiedergeben. Zwei ähnliche Fälle sind Jo Siffert, das Porsche-Ass der Jahre 1968 bis 1971, oder Pedro Rodriguez. Beide tauchen in der Liste auf Positionen jenseits der 20 unter, haben sich aber mit ihren spektakulären Duellen im Gulf-Porsche 917 in den Jahren 1970 und 1971 in unser aller Endurance-Gedächtnis eingegraben. Außerdem fand die Erfolgsbilanz durch ihre tragischen Unfälle 1971 ein abruptes Ende.

Für Modellsammler mit dem Schwerpunkt Sportwagenrennen oder Le Mans ergeben sich auf Basis dieser Piloten-Rankings Perspektiven für „Mini-Themen“, die sowohl thematisch geschlossen als auch geeignet sind, ein zunehmend ausuferndes Sammelgebiet einzugrenzen: Man wählt einen Langstreckenpiloten aus der Top-Liste aus und versucht, alle oder die wichtigsten Rennfahrzeuge seiner Karriere in einer kleinen Sammlung zusammenzustellen. Häufig entsteht auf diese Weise eine Modell-Vielfalt, die man ansonsten, z.B. bei einer Beschränkung auf ein Fabrikat, kaum erreicht.

Tom Kristensen: Modelle im Bild

Renneinsätze vor der Audi-Zeit: TWR Joest Porsche, Le Mans Sieg 1997 (Trofeu), BMW V12 LM, Le Mans 1998 (Minichamps), BMW V12 LMR, Sebring-Sieger 1999 (Jadi)

Zwei Le Mans-Siege, die nicht für Audi erzielt wurden: TWR Joest Porsche (1997), Bentley Speed 8 (2003) (Minichamps)

Hattrick in Le Mans mit dem Audi R8, von links: 2000 (Onyx), 2001 (Minichamps), 2002 (Minichamps)

Zwei Le Mans -Siege mit privaten Audi R8: 2004 (Team Goh)(IXO) und 2005 (Champion)(IXO)

Die Jahre nach dem R8, von links: Le Mans-Sieg 2008 mit dem R10 TDI (IXO), letzter Le Mans-Sieg 2013 mit dem R18 Quattro (Spark), Sebring-Sieg 2009 mit dem R15 TDI (IXO)

Jacky Ickx: Modelle im Bild

Die ersten beiden Le Mans-Siege für die Gulf-Farben: 1975 mit dem Gulf Mirage und 1969 mit dem Ford GT40 (IXO)

Vier Le Mans-Siege mit Porsche: 1976, 1977 und 1981 mit dem 936 (Trofeu, Solido und Trofeu) und 1982 mit dem 956 (Record)

Derek Bell: Modelle im Bild

Fünf Le Mans-Siege: Gulf Mirage (1975), Porsche 936 (1981, Trofeu), Porsche 956 (1982, Record), Porsche 962C (1986, Quartzo), Porsche 962C (1987, Starter)

Daytona-Sieg 1987: Porsche 962 IMSA (Starter)

Olivier Gendebien: Modelle im Bild

Einsatz in GT-Fahrzeugen 1955-57: Mercedes-Benz 300SL, Mille Miglia 1955 (Schuco), Ferrari 250GT, Mille Miglia 1957 (Best)

Le Mans-Siege 1958 und 1960 mit dem Ferrari 250 Testa Rossa (Modelle von Starter)

Zwei weitere Le Mans-Siege: Ferrari 250 TRI, 1961 (Starter), Ferrari 330 LM, 1962 (BAM-Starter)

Phil Hill: Modelle im Bild

1953/54 – Ferrari-Einsätze in Amerika: 340 Mexico, Buenos Aires 1954 (Art Model), 250 MM, Santa Barbara 1953 (John Day)

Riverside 1958: Ferrari 412 MI (Record), die Le Mans-Siegerfahrzeuge wurden bereits oben bei Gendebien gezeigt (1958, 1961, 1962)

Karriereausklang bei Chaparral: 2D, Sieger am Nürburgring 1966; 2F, Targa Florio 1967 (Modelle von Marsh Models)

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