Le Mans 1923 – Beginn einer Legende

Juni 2023: In diesem Jahr fand die 91. Ausgabe der 24 Stunden von Le Mans statt. Im  Jahr 1923, also vor 100 Jahren, begann die Geschichte des Langstrecken-Klassikers.

Chenard & Walcker 3,0 Sport, Le Mans-Sieger 1923 (IXO)

De ersten drei Le Mans-Sieger: Chenard & Walcker 3,0 Sport (1923, IXO), Bentley 3,0 Sport (1924, IXO), Lorraine-Dietrich B3-6 (1925, IXO)

Seitdem wurde die Le Mans-Gechichte nur vom Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen (1940-1948) und vom Jahr 1936 unterbrochen, als Frankreich durch einen Generalstreik lahmgelegt wurde. Jedenfalls existiert weltweit nur eine einzige hochkarätige Autorennsport-Veranstaltung, die immer am gleichen Ort stattfand und auf eine längere Tradition zurückblicken kann: Die 500 Meilen von Indianapolis feierten 2023 ihre 107. Ausgabe, das Rennen wird seit 1911 mit nur ganz wenigen Unterbrechungen immer im selben Oval-Kurs („Nudeltopf“) veranstaltet. Dagegen brachte es die Targa Florio, ausgetragen seit 1919, als internationales Rennen nur auf 57 Ausgaben (bis 1973), außerdem erfuhr der Streckenverlauf auf Sizilien über die Jahre einige Male größere Veränderungen. Und die Rallye Monte Carlo blickt 2023 auf 93 Ausgaben seit 1911 zurück, aber auch hier natürlich mit immer wieder wechselnden Streckenverläufen.

In der Grand Prix-Szene ragen zwei Traditionsrennen heraus: Der Grand Prix von Frankreich wurde erstmals bereits 1906 veranstaltet, und bis 1921 war es der einzige „Große Preis“ einer Saison, er fand aber über alle Jahrzehnte auf wechselnden Rennkursen statt. Der Gran Premio von Italien, erstmals 1921 ausgetragen, erreichte 2023 seine 94. Ausgabe, in der Geschichte dieses Rennens fuhr man allerdings fünfmal auf anderen Rennkursen als in Monza, darunter im ersten Jahr 1921.

  1. Le Mans – Motorsport vor den 24 Stunden-Rennen
  2. Premiere des Grand Prix d´Endurance
  3. Chenard & Walcker – der erste Sieger in Le Mans
  4. Modelle des Chenard & Walcker im Vergleich

1. Le Mans – Motorsport vor dem 24 Stunden-Rennen

Die Stadt Le Mans und die Region Sarthe erlangten ihren Status als „Mekka des Motorsports“ nicht nur und nicht erst mit dem 24 Stunden-Rennen, sondern bereits 1906 mit der Austragung des ersten Grand Prix der Renngeschichte sowie 1921 mit dem ersten europäischen Grand Prix nach dem Weltkrieg – da bereits auf dem klassischen Kurs südlich der Stadt, der dann bis 1928 unverändert und danach leicht verkürzt der Austragungsort des 24 Stunden-Rennens war.

Le Mans, 26./27. Juni 1906: Erster Grand Prix der Motosportgeschichte – „Grand Prix de l´A.C.F.“ (Automobile Club de France)

Die Geschichte der Autorennen startete – nach einer kurzen Ouvertüre beim Rennen Paris-Rouen im Jahr 1894 – mit Langstreckenprüfungen, Fernfahrten über öffentliche Straßen von Stadt zu Stadt, immer beginnend in Paris. 1895 ging es von Paris nach Bordeaux und wieder zurück (knapp 1200 km), dann folgten weitere Städte-Marathons 1896, 1897, 1898, 1901 und 1903, wobei die letzte Ausgabe (Paris-Madrid, 1300 km) aufgrund mehrerer tödlicher Unfälle vorzeitig abgebrochen werden musste: Diese Art von Veranstaltungen wurde mittlerweile zu gefährlich. Später integrierte der A.C.F. diese Fernfahrten in seine Reihe der Grands Prix (Nr. 1 bis 6).

In den Jahren 1900 bis 1905 fanden sechsmal in Folge die Rennen um den „Gordon Bennett Cup“ statt, gestiftet von James Gordon Bennett Jr., dem Herausgeber des New York Herald. Sie hatten bereits ein festes Reglement. Ab 1903 stellten die Rennen um den Cup Saison-Höhepunkte dar und wurden nun bereits auf abgesperrten Landstraßen ausgetragen, im Durchschnitt über 5-6 Runden mit je etwa 100-130 km Länge. Die Fahrzeuge waren mit Fahrer und Beifahrer besetzt und starteten nicht gemeinsam, sondern in zeitlichen Abständen.

1906 folgte als Jahreshöhepunkt der erste Grand Prix überhaupt, ausgetragen auf dem „Circuit de la Sarthe“, einem Dreieckskurs östlich von Le Mans (Rundenlänge 103 km), der über zwei Tage zwölfmal (je sechs Runden pro Tag) umrundet werden musste – Gesamtdistanz über 1200 km. Organisator war der Automobile Club de la Sarthe (Vorläufer des späteren Automobile Club de l´Ouest) – im Auftrag des Automobile Club de France. 32 Fahrzeuge nahmen teil, darunter renommierte Hersteller wie Fiat, Renault, Mercedes, Itala, Hotchkiss, Darracq oder Brasiers und damals berühmte Piloten (Sizs, Hémery, Wagner, Jenatzi, Florio, Lancia, Nazzaro). Am Ende gewann der Ungar Ferenc Szisz mit einem 13 Liter-Vierzylinder Renault mit ca. 100 PS bei 1200 U/Min. Entscheidend für den Sieg des Renault war eine technische Revolution der Michelin-bereiften Räder: Die hinteren Felgen waren abnehmbar – ein Radwechsel kostete damit weniger als ein Drittel der Zeit gegenüber der herkömmlichen Montage. Härtester Gegner war Fiat, dort waren alle vier Felgen abnehmbar. Felice Nazzaro schaffte mit einem Fiat Platz 2.

Von Brumm gibt es ein recht ordentliches und preisgünstiges 1:43-Diecast-Modell des siegreichen Renault. Anfang der 1970er Jahre produzierte der 1:43-Kleinserienpionier Paddy Stanley bereits einen Metallbausatz, das wäre ein Stück für das Modellmuseum.

Le Mans, 24./25. Juli 1921: Erster Grand Prix nach dem Ersten Weltkrieg – Grand Prix de l´ A.C.F.

Drei Jahre nach Kriegsende eröffnete der 15. Grand Prix de l´A.C.F. die europäische Grand Prix-Historie, nachdem 1919 bereits die erste Nachkriegs-Targa Florio stattfand. Und wie beim historisch ersten Grand Prix der Geschichte fand auch dieser Neubeginn in der Sarthe-Region statt. Der 17,26 km lange Rundkurs südlich von Le Mans entsprach dabei genau dem Kurs, der 1923 bis 1928 zum Schauplatz des 24 Stundenrennens wurde. Das Rennen wurde vom Automobile Club de la Sarthe im Auftrag des A.C.F. organisiert und ging über 30 Runden (518 km). Die Motoren der Fahrzeuge waren auf 3 Liter Hubraum und 8 Zylinder begrenzt, und die Leistung der Favoriten, Duesenberg (USA), Ballot (Frankreich), Talbot (England) und Talbot-Darracq (Frankreich), lag zwischen 110 und 120 PS bei Gewichten knapp unter 1000 kg (das war das vorgeschriebene Maximalgewicht). Weitere ernsthafte Konkurrenten, Fiat und Sunbeam, hatten ihre Meldung zurückgezogen. Am Ende gingen 13 Autos auf die Strecke, neun Fahrzeuge kamen nach gut vier Stunden ins Ziel. Der Sieg ging nach Amerika: Jim Murphy gewann mit einem Duesenberg vor zwei Ballot (de Palma und Goux). Murphy fuhr mit 7:43 Minuten auch die schnellste Runde und war damit immerhin noch 25 Sekunden schneller als Tim Birkin mit dem Bentley 4,4 Liter, der 1928, beim letzten 24 Stunden-Marathon auf dem alten Kurs, die bis dato schnellste Le Mans-Runde eines Sportwagens fuhr.

Vom Duesenberg gibt es bis heute immer noch kein Diecast- oder Resincast-Modell in 1:43. Geschickte und erfahrene Modellbauer können sicher aus dem bei Mike Ahrensdorf (MA) wohl noch erhältlichen Resine-Bausatz von MA Scale („mamodels“) ein schönes Modell des Siegerwagens herstellen. Erstaunlich ist, dass es bereits in der Urzeit der 1:43-Kleinseriengeschichte zwei Anbieter von 1:43-Metallbausätzen gab: Paddy Stanley und DG Models (Dave Gilbert) hatten Anfang der 1970er Jahre den Duesenberg in ihrem kleinen Sortiment.

Duesenberg, Grand Prix de´l A.C.F. 1921, Le Mans, Sieger (MA Models)

  1. Premiere des Grand Prix d´Endurance: Le Mans, 26./27. Mai 1923

Die Idee, Autorennen über 24 Stunden auszutragen, stammte ursprünglich aus den USA – dort wurden in den Jahren 1905 bis 1910 mehrere Rennen zweimal rund um die Uhr veranstaltet, allerdings auf kurzen Pferderennbahnen mit Naturbelag. 1922 fand das erste 24 Stundenrennen in Europa statt, der französische „Bol d´Or“, ausgeschrieben für Kleinwagen und Motorräder. Als sich im selben  Jahr einige wichtige Herren aus der französischen Auto- und Medienszene trafen um über eine neue Form eines Wettbewerbs für Autos nachzudenken, hatten sie aber keineswegs ein Rennen in herkömmlicher Art im Sinn. Vielmehr ging es darum, wie man bei normal käuflichen Autos mehr Zuverlässigkeit, besseren Komfort und z.B. eine wirksamere Beleuchtung bei Nachtfahrten erreichen könnte – das waren nach damaligen Befragungen französischer Kunden neben den zu hohen Kosten (Kaufpreis, Unterhalt) die wichtigsten Defizite ihrer Fahrzeuge, nicht etwa mangelnde Leistung oder Geschwindigkeit.

Charles Faroux, Chefredakteur des Journals „La Vie Automobile“, Georges Durant, Generalsekretär des A.C.O. (Automobile Club de l´Ouest, Nachfolger des Club de la Sarthe) und Émile Coquille, französischer Generalvertreter der Firma „Rudge-Whitworth“ (Hersteller von Motorrädern und abnehmbaren Speichenfelgen), erfanden daraufhin eine Zuverlässigkeitsprüfung für serienmäßige Tourenwagen, den „Grand Prix d´Endurance de 24 Heures“, eine 24 Stunden-Fahrt um den „Rudge-Whitworth Triennial Cup“, bei dem nicht das schnellste Fahrzeug, sondern das über drei aufeinander folgende 24 Stundenrennen zuverlässigste den Pokal gewinnen sollte. Der Gewinner des ersten Pokals sollte also erst nach dem Rennen von 1925 nach einem System bestimmt werden, das für Fahrzeuge verschiedener Größe (Hubraum) unterschiedliche Mindestdistanzen vorschrieb. Auch innerhalb der 24 Stunden wurde von der Jury geprüft, ob diese Mindestdistanz eingehalten wird, andernfalls wurden Fahrzeuge vom Rennen ausgeschlossen (die Ausschreibungsdetails änderten sich in den ersten Jahren noch ein paarmal). Die in allen Le Mans-Statistiken aufgeführte Reihenfolge der Fahrzeuge nach ihrer zurückgelegten Distanz, also die heute bekannte „Gesamtwertung“, wurde dagegen bis 1927 vom ACO nur inoffiziell dokumentiert, sie war nicht der primäre Gegenstand der Prüfung. Aber es lag in der Natur der Zuschauer, der Fahrer, der Teams und der Hersteller, dass der Fokus einer Endurance-Prüfung schnell der Idee eines Wettbewerbs um das Fahrzeug weichen musste, das nach 24 Stunden die größte Gesamtdistanz erreichte – Le Mans wurde also zu einem Endurance-„Rennen“.

Ausrichter war der A.C.O., und die Strecke war bereits vom Grand Prix von 1921 bekannt, der „Circuit Permanent de la Sarthe“ am südlichen Stadtrand von Le Mans. Für Unterhaltung der Zuschauer wurde damals (wie heute) gesorgt: „Grand Fête de Nuit … Feu d´Artifice Sportif … Jazz Band … Attractions … Buffet … Bar Americain …“

Das Reglement war streng und beschränkte die teilnehmenden Fahrzeuge auf Serien-Tourenwagen aus der laufenden Produktion, die mit allen Ausstattungen eines käuflichen Autos bestückt sein mussten: Kotflügel, Trittbretter (!), Beleuchtungsanlage, Hupe, Rückspiegel, funktionierendes Verdeck (ab 1924), Windschutzscheibe (die durfte aber im Rennen offenbar abmontiert werden). Unter einer „Serie“ wurde 1923 eine Produktionszahl von mindestens 30 Autos verstanden. Anders als bei den damaligen Grands Prix starteten die Autos gleichzeitig, und sie waren nur mit einem der beiden Piloten besetzt. Sie mussten aber über zwei Sitze oder – ab 1100 ccm Hubraum – sogar über vier Sitze verfügen. Für jeden nicht besetzte Sitz mussten 60 kg Gewicht zugeladen werden. Reparatur- und Wartungsarbeiten durfte nur der Pilot ausführen und nur mit Werkzeug und Teilen, die im Auto mitgeführt wurden. Das Schauspiel, beim Rennstart das Verdeck zu montieren (und später wieder abzubauen), folgte erst in den Jahren 1925-1927, es war im Übrigen verantwortlich für den berühmten „Le Mans-Start“, bei dem die Fahrer sich gegenüber den in Fischgrätmuster („Echelon“) postierten Fahrzeugen aufstellen mussten. Erst nach Senken der Startflagge durfte der Fahrer zu seinem Fahrzeug laufen, das Verdeck aufbauen, den Motor starten und losfahren. Diese Prozedur, die bis 1969 Teil der Le Mans-Historie wurde (bis auf die Sache  mit dem Verdeck), sollte verhindern, dass bei der Montage „gemogelt“ wurde.

Zum Rennen waren 33 Fahrzeuge von 18 Herstellern gemeldet worden, das Ziel erreichten am  Ende 30 Autos – das ist eine bis heute unerreichte Quote. Die internationale Beteiligung war allerdings noch sehr dürftig, es war im Wesentlichen eine französische Affäre. Immerhin – aus Belgien kamen zwei Excelsior, sie hatten mit 8 Litern Hubraum die größten Motoren. Und dann war da noch ein einsamer 3-Liter-Bentley aus England, Sieger des folgenden Jahres 1924 und Vorbote der großen Erfolge dieser Marke Ende der 1920er Jahre. Ansonsten gehörten die beiden Lorraine-Dietrich (3,5 Liter-Motoren), die drei Chenard & Walcker (3 Liter) und die beiden 2-Liter-Bignan zu den schnellen Autos im Feld. Weitere bekannte Namen waren Bugatti, Delage, Amilcar oder Brasier.

Über die erste Hälfte des Rennens und besonders beim Start herrschte miserable Wetter mit Regen- und Hagelschauern und einer entsprechend aufgeweichten Lehmpiste – schwierige Bedingungen für die Fahrzeuge und die Zuschauer, die bei der Le Mans-Premiere allerdings auch nur in überschaubarer Zahl kamen – Gründe genug, den Event im folgenden Jahr und für (fast) alle Zeiten von Mai auf Mitte Juni zu verlegen. Dem Schlamm der ersten Hälfte folgte am Sonntag der Staub, die Fahrzeuge sahen nach 24 Stunden entsprechend aus. Viele der spärlichen Bilder vom Rennen stammen vom Sonntag und sind daher für den Modellbauer problematisch, wenn dieser auf Basis der SW-Fotos auf Farben, z.B. der Felgen, schließen möchte.

Die heute meist publizierte (inoffizielle) Gesamtwertung nach zurückgelegter Distanz wies einen Doppelsieg der beiden „Sport“-Modelle von Chenard & Walcker aus – dazu gleich mehr. Ihr stärkster Gegner war der Bentley, der allerdings durch kleinere Probleme (z.B. Loch im Benzintank) und die fehlenden Vorderradbremsen am Ende hinter einem der Bignan nur Platz 4 erreichte, aber immerhin die schnellste Runde des Rennens fuhr (siehe Beitrag zu Bentley auf dieser Webseite).

  1. Chenard & Walcker – der erste Sieger in Le Mans

Chenard & Walcker (C&W), gegründet 1900 von Ernest Chenard und Henri Walcker, kam mit drei Fahrzeugen nach Le Mans, alle mit einem 3-Liter-Vierzylindermotor, der mit einer obenliegenden Nockenwelle und schräg hängenden Ventilen ein durchaus modernes Triebwerk darstellte. Konstrukteur war Henri Toutée. Zwei „Sport“-Versionen lagen am Ende in der Distanzwertung auf den Plätzen 1 und 2. Der Sieger (Nr. 9) mit André Lagache und René Léonard, legte eine Distanz von 2210 km zurück und übertraf die bei 3 Litern Hubraum geforderte Mindestdistanz von 1350 km klar. Das galt ebenso für die Nr. 10 (Piloten: Raoul Bachmann – Christian d´Auvergne), die mit 2140 km auf Platz 2 einlief. Das dritte Modell war eine etwas schwerere „Tourisme“-Version, dieses Auto kam auf Platz 7 (Fernand Bachmann – Raymond Glaszmann), insgesamt also eine blendende Gesamtbilanz des Werks. Bei den „Sport“-Versionen gab es einige Modifikationen gegenüber der Serie, insbesondere zur Reduzierung des Gewichts. Diese Arbeiten wurden bei der eng mit C&W verbundenen Firma „Lagache-Glaszmann“ ausgeführt – eine frühe Form von Tuning, wie wir es heute von Schnitzer, AMG und anderen kennen: Das war eigentlich nicht im Sinne des strengen Reglements.

Die Teilnahme von C&W am ersten Le Mans-Marathon war keine Überraschung, auch wenn man diese Firma heute kaum noch kennt. Aber man war 1925 immerhin viertgrößter Autoproduzent in Frankreich (25 Tsd. Fahrzeuge), allerdings eher mit „normalen“ Alltagsautos und nicht mit technisch anspruchsvollen Konstruktionen wie bei Bugatti oder Delage – aber die Motoren waren ab 1920 durchaus modern. Tatsächlich waren in Le Mans 1923 bis 1925 mehrere C&W mit unterschiedlicher Motorisierung am Start, vom kleinen 1,1 Liter bis zum großen 4-Liter-Achtzylinder. C&W gewann damit die ersten Zwei- und Dreijahreswertungen des Rudge-Whitworth-Cups (1924/25 und 1923-25), den (inoffiziellen) Doppelsieg von 1923 konnte man in den beiden Folgejahren allerdings nicht wiederholen, und ab 1926 war C&W in Le Mans nicht mehr am Start.

  1. Modelle des Chenard & Walcker im Vergleich

Bevor die bislang produzierten 1:43-Modelle des Le Mans-Siegerfahrzeugs kritisch unter die Lupe genommen werden, sollte man auf ein paar Karosseriedetails eingehen, bei denen einige der Modelle nicht ganz korrekt sind – Maßstab sind dabei vor allem die SW-Fotos des Rennens von 1923, leider keine üppige Auswahl, meist von minderer Qualität und fast immer von vorn oder vorn/seitlich fotografiert. Farbfotos: natürlich Fehlanzeige, und es existieren auch nur ganz wenige Fotos, auf denen man das Heck sieht. Das Siegerfahrzeug (oder eine Replik, das ist mir nicht bekannt) steht seit vielen Jahren im sehenswerten Museum an der Rennstrecke von Le Mans und wird hin und wieder auf einschlägigen Veranstaltungen gezeigt, z.B. in Goodwood oder bei den Le Mans Classics, die alle zwei Jahre stattfinden – von diesem Fahrzeug gibt es natürlich auch reichlich Farbfotos im Internet.

Und da geht es schon los – denn die Fotos des restaurierten oder nachgebauten Fahrzeugs zeigen Unterschiede: Beim Auto, so wie es im Museum stand oder steht, fehlt das seitliche Reserverad und die Heckpartie ist anders als beim Original-Siegerwagen, auf anderen Fotos aus der Neuzeit ist das Reserverad dagegen wie beim Original von 1923 vorhanden und das Verbindungsblech zwischen dem vorderen und hinteren Kotflügel entsprechend angepasst – ist das ein und dasselbe Fahrzeug? Möglicherweise war oder ist das Museumsfahrzeug nicht die „Sport“-Version (Le Mans, Startnummern 9 und 10), sondern die „Touring“-Version (Nr. 11), auf die man nachträglich die Nummer des Siegers aufgebracht hat. Auf jeden Fall sind die Felgen beim aktuellen Auto (in beiden Varianten) schwarz lackiert, und auf den alten SW-Aufnahmen sind sie sehr dunkel, vermutlich auch schwarz. Eine abweichende, hellere Felgenfarbe ist nur auf SW-Fotos erkennbar, auf denen das Auto nach den ersten Rennstunden bereits von einer dicken Lehm- oder Staubschicht überzogen ist. Die hinteren Sitze waren beim Rennen, jedenfalls auf allen alten Fotos, nicht abgedeckt, und sie waren relativ hell gepolstert, jedenfalls nicht schwarz wie beim aktuellen Fahrzeug. Auf dem kurzen Bootsheck war beiderseits eine Startnummer angebracht, allerdings kleiner als die seitlichen Nummern. Über die Lackierung (blau) scheint offensichtlich Einigkeit zu herrschen, obwohl es natürlich kein einziges Farbfoto aus alter Zeit gibt – aber blau war nun einmal die französische Rennfarbe. Das Lenkrad hatte übrigens fünf (!) Speichen. Damit wollen wir es hier bewenden lassen.

Wie steht es nun vor diesem Hintergrund um die diversen 1:43-Modelle des ersten Le Mans-Siegers?

(1) alter Metallbausatz von John Day (Serie 100, Nr. 128, etwa von 1972/73)

(2) Resine-Bausätze von Starter und MCM (beide auch „ab Werk“ als Fertigmodelle lieferbar)

(3) neuere Diecast-/Resincast-Modelle von Pinko und IXO (Altaya)

(4) ganz aktuelles (2020) Resincast-Modell von Spark

Das John Day-Modell ist hier abgebildet. Es ist als Stück aus dem Modellmuseum zwar recht reizvoll, gemessen an den Fotos vom Originalfahrzeug aber in mehrerer Hinsicht nicht korrekt, man folgte man bei John Day damals wohl einem falschen Vorbildfahrzeug (vermutlich dem Auto aus dem Le Mans-Museum). Das Modell folgt eher dem Maßstab 1:45 (damals durchaus üblich bei nominell 1:43-Modellen) und ist auch dann noch etwas zu schmal geraten – Schwamm drüber.

Chenard & Walcker 3,0 Sport, Le Mans 1923 (Metallbausatz von John Day)

Die beiden Resine-Bausätze (Starter, MCM) sind auch schon älteren Datums und nur noch mit viel Glück zu beschaffen. Das gilt besonders für das MCM-Modell, das wohl die beste Replik des C&W darstellt. In beiden Fällen sind die Speichenfelgen sehr gut nachgebildet, und die Farbgestaltung (Felgen, Sitze usw.) kann der Modellbauer hier selbst bestimmen. Bei beiden Modellen ist auch die in ihrer Neigung verstellbare Frontscheibe sehr schön nachgebildet.

Unter den neueren Großserienmodellen (IXO, Spark) ist das IXO-Modell schon etwas älter (ca. 15 Jahre) und mittlerweile auch unter dem Label „Altaya“ recht günstig zu erwerben. Das Modell ist aber, gemessen an den Daten des Originalfahrzeugs, zu gedrungen, d .h. es ist zwar gemessen am Radstand (und damit wohl auch in der Länge) maßstabgeteu, aber die Spurweite vorn ist um über 10% zu groß, das Modell ist also viel zu breit.

Radstand, Original: 2,86 m = 6,65 cm in 1:43, IXO-Modell: 6,62 cm

Spur vorn, Original: 1,34 m = 3,12 cm in 1:43, IXO: 3,50 cm (das wäre Maßstab 1:38!)

Das Bootsheck ist wohl auch etwas zu kurz geraten, und hinten fehlen die kleinen Startnummern. Die Felgen sind bei IXO recht ordentlich und schwarz (korrekt!), die Sitze sind ebenfalls schwarz (vermutlich nicht korrekt), das wurde beim hier fotografierten Modell geändert. Der Scheibenrahmen ist im Vergleich zu anderen Modellen (MCM, Spark) recht grob geraten, und die Frontscheibe steht senkrecht, sie wurde hier nachträglich geneigt – siehe Fotos vom Rennen. Das 5-Speichen-Lenkrad ist korrekt. Der Kühlergrill hat beim IXO-Modell einen zu starken Chromeffekt, das wurde beim hier abgebildeten Modell ebenfalls geändert.

Chenard & Walcker 3,0 Sport, Le Mans 1923 (IXO und John Day im Vergleich)

Das Spark-Modell ist ganz neu (Stand 2020) und nach aller Erfahrung etwas feiner gestaltet als das ältere IXO-Modell (z.B. Frontscheibe), aber auch deutlich teurer. Nach den Modellfotos zu urteilen, scheint aber auch das Spark-Modell zu breit geraten zu sein. Hier sind die Sitze braun gefärbt, und die hinteren Startnummern fehlen nicht. Die Felgen sind in Wagenfarbe (blau!) lackiert – dazu fehlt mir irgendeine Bild- oder Info-Quelle, die auf eine solche Farbgestaltung hinweist. Spark steht damit auch im Widerspruch zu allen anderen Modellen des C&W, auch jenen anderer Maßstäbe.

Fazit: Da die beiden Bausatz-Modelle kaum noch lieferbar sind, kann man zwar auf das neue Spark-Modell zurückgreifen, ich würde dann allerdings die Felgen schwarz (seidenmatt) lackieren. Das sollte modellbautechnisch kein großes Problem sein. Wenn sich die von mir vermutete „Überbreite“ bei Spark bestätigt, ließe sich das aber leider nicht ändern.

Quellen:

Neben den zahlreichen Internet-Quellen (z.B. Kurzberichte zum C&W im Online-Journal „Zwischengas“) wurden für diesen Beitrag zwei Le Mans-Bücher genutzt:

Automobile Club de l´Ouest (Hrsg.), 24 Stunden von Le Mans, Die offizielle Chronik des berühmtesten Langstreckenrennens (2 Bände), Heel, 2010; Brian Laban, Le Mans 24 Hours – The Complete Story of the World´s Most Famous Motor Race, Virgin Books, London, 2001.

Eine weitere gute Quelle lag zu diesem Bericht (noch) nicht vor: Quentin Spurring, Le Mans The Official History of the World´s Greatest Motor Race, 1923-1929, Evro Publ., Sherborne, 2015.

Eine komprimierte, aber sehr gute und seriöse Quelle zur Geschichte der Autorennen seit 1894 und speziell zur Geschichte der Grands Prix ist das Standardwerk des renommierten Schweizer Motor-Journalisten Adriano Cimarosti: „Autorennen – die großen Preise der Welt, Wagen, Strecken und Piloten von 1894 bis heute“ (Hallwag, Bern 1986).

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