Le Mans 2010: Peugeots Nullnummer und Audis Dreifach-Triumph – 14. Besuch des Rennens

Bericht vom Oktober 2015

Die Schlagzeilen: Zuverlässigkeit siegt über Rennspeed +++ Neuer Distanzrekord des siegreichen Audi: 5411 km +++ Totalausfall aller vier Peugeot, darunter drei Wagen mit identischem Motordefekt

LM 2010 ProgrammJuni 2010: Nach vier Jahren schafft es das Minerva-Team endlich wieder, in Le Mans life dabei zu sein. Die über viele Jahre praktizierte Tradition, alle zwei Jahre zum Rennen zu fahren, musste 2008 aus diversen Gründen unterbrochen werden, aber nun sind wir wieder vor Ort. Nachdem wir 2006 Augenzeugen des ersten Siegs eines Dieselfahrzeugs in Le Mans wurden, lagen drei Le Mans-Rennen zwischen der erfolgreichen Premiere des Audi R10 TDI und der bevorstehenden 24-Stunden-Prüfung in den Tagen zwischen dem 9. und dem 13. Juni 2010.

Sie waren geprägt vom Duell Audi gegen Peugeot: 2007 traten die Franzosen erstmals mit dem neuen 908 HDI FAP gegen den „Platzhirschen“ Audi an, man war dem Seriensieger der vorangegangenen sieben Jahre aber noch nicht ganz gewachsen. 2008 war der 908 dann – jedenfalls im Training und im Rennen bei trockener Piste – deutlich schneller als der nun bereits drei Jahre alte R10, man scheiterte aber knapp an Kleinigkeiten, die letztlich von einem noch unvollendeten Lernprozess des französischen Werksteams herrührten. Audi und Joest Racing hatten bei Strategie, Boxenarbeit und Rennabstimmung unter diversen Wetterbedingungen jedenfalls immer noch einen Vorsprung, und das erfahrene All-Star-Team Kristensen, McNish und Capello war auf dem Höhepunkt seines Könnens und über jeden Zweifel erhaben – 2:0 für Audi.

Im folgenden Jahr 2009 trat Peugeot zum dritten Mal in Le Mans an, und wie so oft in der Geschichte dieses Rennens war der dritte Anlauf eines Werksteams endlich erfolgreich. Audi ersetzte den in die Jahre gekommenen R10 durch den neuen R15, aber Aerodynamik und Fahrwerk waren – nicht zuletzt aufgrund fehlender Renneinsätze in der ersten Saisonhälfte – noch nicht ganz aussortiert. Die Peugeot – wieder deutlich schneller als Audi und nun auch ausgereift – schafften am Ende Platz 1 und 2, Kristensen, McNish und Capello retteten für Audi gerade noch den dritten Podiumsplatz: Nur noch 2:1 für Ingolstadt.

Für 2010 hatten beide Werksteams ihre Fahrzeuge nochmals optimiert und an ein leicht modifiziertes Reglement angepasst. Der Peugeot 908 war nun bereits im vierten Jahr seiner Rennkarriere, der Audi R15 „plus“ dagegen erst im zweiten – das sprach eigentlich eher für Audi. Umso mehr beeindruckten Peugeot mit den drei Werkswagen und das Oreca Team mit einem weiteren, technisch identischen 908 schon im Mittwoch-Training. Nicht weniger als vier Sekunden pro Runde zwischen den beiden Kontrahenten – viel zu viel, um es bei Audi über Verbrauch, Boxenarbeit oder Rennerfahrung auch nur annähernd auszugleichen. Immerhin: Im Training am Donnerstag konnte Audis Speerspitze McNish mit seiner Nummer 7 den Rückstand auf Bourdais und Kollegen auf weniger als drei Sekunden verkürzen. Es blieb aber bei der Hackordnung Peugeot vor Audi, gefolgt vom Lola Aston Martin und den weiteren LMP1-Teams (Oreca, Kolles Audi, Rebellion Lola). Die Rollen in der Königsklasse waren also klar verteilt, und auf Fehler der Franzosen, die Peugeot noch als Le Mans-Neuling 2007 und 2008 zurückwarfen, konnte man bei Audi kaum hoffen.

Mit diesen Erwartungen sahen wir am Samstag dem Start des Rennens entgegen. Am Sonntag vor dem Rennen war das Minerva-Team wie gewohnt mit dem Wohnmobil gestartet: Von Kiel im hohen Norden Deutschlands über Holland und Belgien – mit einer Übernachtung auf einem Campingplatz bei Antwerpen – an Paris vorbei nach Le Mans, unsere bewährte „Holland-Route“. Dieses Mal zu viert: HH und GB, bereits alte Le Mans-Hasen, sowie HGB und MS. Unser Le Mans-Experte HP, der schon in der Gruppe C-Zeit mit von der Partie war, wurde schmerzlich vermisst: Er verstarb zum Jahresanfang 2010. Eine Gedenkminute war die erste Aktion, nachdem wir unseren WoMo-Platz eingenommen hatten.

In der Zeit nach 2006 gab es einige Veränderungen: Die WoMo-Stellplätze auf dem Areal „Bleu Nord“ wurden nun von Ordnern zugeteilt und waren in ihrer Größe normiert (35 Quadratmeter), was wir angesichts unserer negativen Erfahrungen früherer Jahre (eigenmächtige Platzwahl, oft verbunden mit frühzeitiger Blockierung freier Stellplätze durch Absperrband) als Vorteil werteten.

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Camping Areal „Bleu Nord“

Dass die technische Abnahme ab 2010 um einen Tag auf Sonntag und Montag vorverlegt worden war, freut die Leute aus der Region, die ihren freien Sonntag nutzen um dabei sein zu können. Für die anreisenden Zuschauer ist dies eher ein Nachteil, da man nun noch einen weiteren Tag für die Le Mans-Woche einplanen muss, um zumindest einen Teil dieser sehr interessanten Veranstaltung verfolgen zu können. 2010 war der Standort nicht mehr wie traditionell der Place du Jacobins, sondern der benachbarte Platz direkt hinter der Kathedrale. Ab 2012 wechselte man dann schließlich zum Place de la Republique, der aber eigentlich viel zu klein für die vielen Zuschauer ist.

Eine weitere, in diesem Falle sehr angenehme Neuerung gegenüber 2006 war die in der Zwischenzeit fertiggestellte Stadtbahn (Tram), die am Rand des Zuschauerareals beim Camping „Houx Annexe“ startet und von dort direkt in die Innenstadt fährt.

Damit war unser übliches Wochenprogramm, das immer ein bis zwei Fahrten in die Stadt beinhaltet, bequemer als in den Jahren zuvor. Ein Gang durch die historische Altstadt um die gotische Kathedrale, mit schönem Mittagessen auf dem Place Saint Pierre, Besuch des Modellautoladens „Manou“ in der City und der Fahrerparade am Freitagnachmittag – eine Wiederholung unserer „Le Mans Woche“ der letzten Besuche.

Pitwalk am Freitag

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Pitwalk: Oreca Team

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Oreca 01 AIM

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BMW M3 E92

Die Trainingssitzungen am Mittwoch und Donnerstag sahen wir überwiegend von der einen oder anderen beim Training frei zugänglichen Tribüne aus, und am Samstag nahmen wir dann nach dem morgendlichen Warm-Up und dem Rennen für historische Gruppe C-Sportwagen in den folgenden Stunden vor dem Start und in der ersten Rennphase unsere reservierten Plätzen der Boxentribüne („Stands“) ein, um danach an verschiedene Stellen der Rennstecke zwischen Tertre Rouge und den Porsche-Kurven zu gehen.

Der Rennverlauf wird hier angesichts vielfältiger Quellen (Bücher, DVD, Internet) nur kurz dargestellt. Beim Duell Audi – Peugeot kann man die 24 Stunden wohl in drei Phasen gliedern:

(I) Peugeot dominiert, verliert aber schon vor der dritten Rennstunde ein Auto. Peugeot auf den ersten vier Plätzen, dann mit Respektabstand die drei Audi – das ist das Bild der ersten beiden Stunden, wobei die Audi nach dem Unfall von Mansell nach nur fünf Runden durch einen unglücklichen Eingriff der Safety Cars gegenüber den Peugeot um ca. eine Minute zurückfallen. Dann der erste Schlag für Peugeot: Der trainingsschnellste Wagen (Nr. 3) fällt nach 2:30 Stunden mit Aufhängungsschaden aus. Bis in die Abendstunden liegen die drei verbleibenden Peugeot dann aber geschlossen in Front.

(II) Weitere technische Probleme bei zwei Peugeots – nur noch die Nr. 2 liegt am frühen Morgen vor Audi. In den späten Abend- und Nachtstunden bröckelt die Dominanz der Franzosen: Um 22:40 Uhr fällt die Nr. 1 zurück (Anlasser/Lichtmaschine), um kurz nach 3 Uhr der Oreca 908 (Nr. 4, Radaufhängung). Nach 16 Stunden, morgens um 7 Uhr, ist die Welt für Peugeot noch halbwegs in Ordnung – die Nr. 2 mit den drei französischen Stars Minassian, Montagny und Sarrazin führt unverändert seit 23 Uhr, aber die Audi treiben den Peugeot vor sich her. Dann der Super-GAU für die Nr. 2 – der Wagen verendet mit kapitalem Motorschaden bei Tertre Rouge – Audi führt erstmals in Le Mans.

(III) To finish first, you first have to finish! Die beiden verbleibenden Peugeot versuchen mit Rekordrunden das Blatt noch zu wenden und stranden Sonntagmittag mit identischen Motorschäden: Kein Peugeot im Ziel, Audi gewinnt in Formation, und die Nr. 9 mit Rockenfeller, Dumas und Bernhard bricht den Distanzrekord des Porsche 917 von 1971.

Die dramatischen letzten drei Stunden verfolgten wir auf der Boxentribüne oberhalb der Peugeot-Kommandostände und wurden Zeugen des Dramas, das den Peugeot-Leuten, angefangen mit den Chefs, die Tränen in die Augen trieb. Das Mitgefühl mit den Franzosen mischte sich mit der Erkenntnis, dass man einen Le Mans-Sieg nicht garantieren kann. Wochen später gab Peugeot bekannt, dass die für die Saison 2010 neu eingebauten Pleuelstangen der Belastung der 24 Stunden nicht gewachsen waren: Jedes Rennen in Le Mans ist einzigartig, sei es durch die Wetterbedingungen (Temperatur, Regen,…) oder den Druck der Konkurrenten oder der Teamkollegen – alle diese Faktoren erzeugten 2010 eine Belastung der Motoren, denen sie bei Peugeot in den Monaten vor Le Mans trotz aller Tests nie ausgesetzt waren: Es war trocken, es war über viele Stunden recht kühl, und der Druck von Audi, aber auch im eigenen Team, war über das gesamte Rennen hoch.

Im Windschatten des spannenden Duells der beiden Diesel-Kontrahenten glänzte die kleine LMP2-Klasse durch eine relativ geringe Ausfallquote (anders als in den Jahren zuvor) und durch eine tolle Leistung des Siegers HPD ARX, der problemlos über die Distanz kam, Platz 5 der Gesamtwertung erreichte und am Ende mit 367 Runden einen bis heute (2015) gültigen LMP2-Distanzrekord aufstellte.

Bei den GT-Klassen stand die GT1 in ihrem letzten Jahr im Schatten der mit mehreren Werksteams hochkarätig besetzten GT2-Kategorie. So kam bei den GT1 am Ende mit dem Saleen von Larbre ein Uralt-GT zu einem schönen Abschiedserfolg. Und in der GT2-Klasse ließ der Felbermayr-Porsche 911 GT3 die gesamte Konkurrenz der Werkswagen (Corvette, Ferrari, BMW) hinter sich. Ein Kurzbericht des Ford GT, der die GT1-Klasse in ihrem letzten Jahr bereicherte und mit der Nr. 61 ein reines Ladies-Team meldete, kann hier aufgerufen werden (Beschreibung des Spark-Modells).

Trotz der für Peugeot bitteren Note freuten wir uns am Ende über ein spannendes Rennen bei trockenem, über Nacht allerdings recht kühlem Frühsommerwetter, bei dem die Unfälle ohne größere Personenschäden glimpflich ausgingen. Die Rücktour verlief dann ähnlich wie in den Jahren zuvor: Aufbruch nach der Siegerehrung (mit neun Audi-Piloten auf dem Podium), Abfahrt Richtung Paris bis Chartres auf den schon bekannten, schönen Campingplatz: Erholen, duschen, abends in der Stadt schön essen und Schlaf nachholen – unser bewährtes Rezept nach den anstrengenden Tagen an der Rennstrecke. Am Montag folgte dann die lange Heimreise nach Hause.

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Der spätere Siegerwagen auf dem Weg zur Startaufstelung

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Auf dem Weg zur Startaufstellung: Peugeot 908

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Oreca Peugeot 908

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Lola Aston Martin B09/60

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Rebellion Lola Judd B10/60

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Drayson Racing Lola Judd B09/60

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Matech Ford GT

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BMW M3 E92

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Felbermayr Porsche 911 GT3 RSR – der spätere GT2-Sieger

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Matech Ford GT, besetzt mit drei Pilotinnen aus der Schweiz

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Showdown am Samstagmittag

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Französische Hymne

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Vor dem Start: Magnussen mit der Corvette

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Aston Martin DB9, letzter Auftritt in der GT1-Klasse

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Startaufstellung

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Ford GT (Marc VDS Racing), nach Unfall auf dem Weg in die Box

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Start- und Zielgerade bei Nacht

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Blick von der Tribüne „Stands“, 30 Minuten vor der Zielankunft

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Siegerehrung

Le Mans 2010 – die Modelle in 1:43

Das Angebot an Le Mans-Fahrzeugen in 1:43 ist nahezu lückenlos: Spark hat schon Mitte 2010 alle Fahrzeuge mit Ausnahme der Ferraris und des viertplatzierten Oreca 01-AIM angekündigt und über die folgenden Monate ins Programm genommen. Einige, insbesondere die BMW M3 (darunter vor allem das „Art Car“ Nr. 79), sind aber 2015 bereits nicht mehr im Handel erhältlich. Die Ferrari F430 werden als exklusive Kleinserienmodelle von BBR und von Fujimi aus der Minimax-Familie angeboten, der Oreca von IXO. IXO brachte mit einiger Verzögerung auch den Audi R15plus, den Peugeot 908, den Lola Aston Martin und einige andere Fahrzeuge heraus. Bausätze sind nur noch vereinzelt im Angebot, siehe Modellübersicht in 1:43 (für die wichtigsten Teilnehmer, Stand 2015).

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Audi R15 plus, Siegerwagen (Spark)

Peugeot 908 HDI FAP (Oreca Team), Duval-Lapierre-Panis (Spark)

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Oreca 01-AIM, Platz 4 (IXO)

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Rebellion Lola B10/60 (IXO)

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Matech Ford GT (Spark)

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HPD ARX 01C, Sieger LMP2 (Spark)

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Matech Ford GT (Gachnang, Allemann, Frey)

Die Fotos der Fahrzeuge in Le Mans habe ich bei unserem Besuch 2010 selbst geschossen. Die Fotos der 1:43-Modelle stammen aus der „Minerva“-Sammlung. Wer Fotos oder bewegte Bilder des Rennens sucht, dem sei das übliche ACO-Jahrbuch (Moity, Teissedre, Bienvenu, 2010 Le Mans 24 Hours) zu empfehlen. Es gab auch 2010 das Le Mans-Sonderheft des französischen Modell-Journals „Auto Modelisme“ mit mehreren Fotos von jedem teilnehmenden Fahrzeug, eine Zusammenfassung des Rennens auf DVD kann man z.B. über Duke Video erwerben.

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