Brütsch Mopetta – Start in Le Mans 1957

Freigelassener Jahrmarkt-Scooter… rollende Einkaufstasche… selbstfahrender Motorrad-Beiwagen…Ei-Auto: Die Brütsch Mopetta von 1956/57 musste sich so manchen Spott gefallen lassen.

Brütsch Mopetta in 1:43 von Schuco

Brütsch Mopetta – 1:87-Modell von Saller

Brütsch Mopetta von Saller (1:87)

Nüchtern betrachtet, war die Mopetta verkehrsrechtlich als „Moped“ eingestuft und damit von der regulären Kfz-Steuer und Führerscheinpflicht für PKW befreit. Gleichwohl hatte der Winzling drei Räder, erfüllte damit die landläufige Anforderung an ein Auto und gilt heute als das kleinste in Serie gebaute Auto der deutschen Nachkriegsgeschichte. Naja…in Serie? Tatsächlich wurden nur 14 Fahrzeuge hergestellt, die sich auch noch in Details unterschieden. Es waren im besten Wortsinn „Prototypen“ einer geplanten Serienfertigung in größerem Stil, die dann 1958 doch im Mülleimer der Geschichte landete.

Heute wird die Handvoll von Exemplaren, die die letzten 60 Jahre überlebt haben, zu Höchstpreisen gehandelt (sofern an einen Besitzerwechsel überhaupt gedacht wird). Die Mopetta hat in dieser Hinsicht einen ähnlichen Status wie der britische Peel P50 erreicht, mit dem sie im Wettbewerb um das kleinste Auto der Welt steht.

Dieser Beitrag beginnt mit Informationen zum Konstrukteur der Mopetta, Egon Brütsch – eine bemerkenswerte Person in der deutschen Automobilwelt der frühen Nachkriegszeit. Die Entstehungsgeschichte der Mopetta folgt im zweiten Teil des Berichts, ergänzt um technische Fakten und Informationen zu Modellen in diversen Maßstäben sowie zum Duell Mopetta gegen Peel um den Titel des kleinsten Autos. Schließlich wird auf ein heute kaum noch bekanntes Ereignis eingegangen: Es geht um den Start der Brütsch Mopetta bei den 24 Stunden von Le Mans 1957 in einer vom ACO neu geschaffenen Kleinstwagenklasse (bis 50 ccm Hubraum). Mit einigem Aufwand konnten Details zu diesem Start mit Hilfe bisher nahezu unbekannter Quellen recherchiert werden.

Egon Brütsch

Der Schöpfer der Mopetta (1904-1988) war bereits zwischen den Kriegen als Junior einer Fabrik für Damenstrümpfe  vermögend und begann seine Verbindung zur Motorwelt als Rennfahrer (Motorräder, Rennwagen). Unmittelbar nach dem Krieg konnte er – nicht zuletzt mit Damenstrümpfen als Tauschwährung – wieder schnell in den Motorsport einsteigen, zunächst (1946/47) mit einem Vorkriegs-Alfa Romeo 8C Monza bei Rennen der „freien Formel“ in den deutschen Westzonen („Trizonesien“). 1948 stellte er zusammen mit dem Ingenieur Georg Westenrieder einen Rennwagen auf die Räder, der von einem 3,7 Liter-Sechszylindermotor von Maserati (mit Kompressor) angetrieben wurde – das bei weitem stärkste Fahrzeug der Rennszene in Trizonesien. Der Motor stammte aus einem Maserati 6C-34 Grand Prix-Wagen, den Paul Pietsch 1937 bei einem Rennunfall stark zerstört hatte. Westenrieder baute dafür ein geeignetes Chassis, und 1948 war Brütsch in Rennen der freien Formel recht erfolgreich. Ab 1949 traten neue, modernere Konstruktionen auf den Plan, der „EBS Maserati“ (EBS=Egon Brütsch, Stuttgart) war nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Brütsch verlor das Interesse an der Rennerei, zumal der mit der Einführung der Deutschen Mark verbundene Wechsel von der Tausch- zu einer Geldwirtschaft seine Beschaffungsmöglichkeiten nun stark einschränkte.

Anfang der 1950er Jahre folgte die nächste Episode: Entwicklung von Klein- und Kleinstwagen, spätestens ab 1954 mit GFK-Kunststoffkarosserien. In dieser Zeit, die bis 1958 andauerte, wurden verschiedene Projekte entworfen und zum Teil auch in kleinen Serien gefertigt, darunter die Brütsch Mopetta. Zu einer Produktionsaufnahme in großer Serie kam es aber, trotz guter Kontakte zu Kapitalgebern, am Ende nicht – Ausgangs der 1950er Jahre war die Zeit der Kleinstautomobile langsam abgelaufen, vor allem der Volkswagen und „erwachsenere“ Kleinwagen (Goggo, NSU Prinz, Fiat 500) übernahmen den Einstieg in die bundesdeutsche Massenmotorisierung der 1960er Jahre. Brütsch verabschiedete sich komplett aus der Autoszene und stieg – am Ende durchaus erfolgreich – in den Bau und Vertrieb von Kunststoff-Fertighäusern ein.

Die Klein- und Kleinstwagen von Egon Brütsch

Brütsch begann mit einem Kinderauto in Form eines Maserati im Maßstab 1:2 (Preis: 750 DM), gefolgt von einem „echten“ Auto, einem Einsitzer in Monoposto-Form mit Kotflügeln (NSU-Einzylinder bzw. Baumsägen-Motor), und dem „Eremit“, wiederum einem Einsitzer mit hübscher Pontonkarosserie (offen oder Coupé, ILO-Motor, 125 ccm), das war 1951. 1954 kam der „Spatz“ mit einer Kunststoff-Karosserie (zwei GFK-Halbschalen), inspiriert von der 1953 vorgestellten ersten Corvette, einem der ersten in Serie gefertigten Autos mit Kunststoff-Karosserie. Der Spatz war ein Dreirad-Roadster (zwei Räder vorn, ein angetriebenes Rad hinten) mit zwei, eventuell drei Sitzen nebeneinander und mit einem Fichtel & Sachs-Motor (200 ccm, 10 PS), gebaut wurden fünf oder weniger Fahrzeuge. 1956 wurde die Idee von den Bayerischen Automobilwerken (BAG) übernommen, allerdings als Fahrzeug mit vier Rädern. Daraus entstand dann der Victoria Spatz mit 250 ccm-Motor. Von dem vierrädrigen Fahrzeug wurden bis 1958 (BAG plus Victoria) immerhin knapp 1500 Exemplare gebaut (Preis des Victoria: 3.350 DM). Modelle des Victoria Spatz gibt es in 1:43 von Premium Classics, in 1:87 von Saller und von Ganther (Kleinserien-Gießharz-Modell aus den 1980er Jahren).

Der nächste Streich von Brütsch war 1955 der „Zwerg“, den es als Ein- oder als Zweisitzer gab. Der größere Zwerg hatte einen 200 ccm-Motor (12 Fahrzeuge gebaut), der kleinere einen 75 ccm-DKW-Motor (vier Fahrzeuge). Im folgenden Jahr wurden drei weitere Brütsch Klein- und Kleinstwagen mit Kunststoff-Karosserie vorgestellt: „Rollera“ (einsitziges Dreirad, 100 ccm-Motor, das einzelne Vorderrad angetrieben, acht Fahrzeuge), „Bussard“ (Zweisitzer, Dreirad, 200 ccm-Motor, nur ein Prototyp), und „Pfeil“ (vier Räder, Zweisitzer, 400 ccm-Lloyd-Motor, zwei Zylinder, acht Fahrzeuge). 1957 folgten noch der „V2“ (vier Räder, zwei Sitze, 100 ccm- oder 250 ccm-Motoren von Sachs oder Maico, zwei Fahrzeuge) und der „V2-N“ (wie V2, mit Türen, mit 500 ccm-Motor des Fiat 500, drei Exemplare bei Brütsch gebaut). (Anmerkung: Auf weitere Auto-Projekte von Brütsch oberhalb der Kleinwagenklasse soll hier nicht eingegangen werden.)

Und dann die „Mopetta“: Das erste Exemplar feierte sein Debut als „schwimmendes Moped-Auto“ bei der IFMA im Herbst 1956 (Internationale Fahrrad- und Motorradausstellung) und bei der London Motor Cycle Show zum Jahresende. Das Einsitzer-Mobilchen hatte ein Vorder- und zwei Hinterräder. Beim ersten Prototyp war der Zweitaktmotor (50 ccm) noch vorn eingebaut. Es entstanden zwei oder drei Fahrzeuge. 1957 folgte eine weiter entwickelte Version. Der Motor war nun seitlich in Fahrzeugmitte angeordnet und trieb per Kette das linke Hinterrad an. Die angebliche Schwimmfähigkeit bei der ersten Version war dadurch aber nicht mehr gegeben. Der Preis stieg von 750 auf knapp 1000 DM (und später über 1000 DM). Der 50 ccm-Ilo-Motor (2,3 PS) wurde wie bei einer Kettensäge per Seilzug gestartet. Weitere Daten können einer Tabelle entnommen werden. Nach der Premiere packte Brütsch mehrere Mopettas auf seine privaten PKW (Mercedes-Benz 180 Ponton und 170V), teils aufs Dach, teils Huckepack oder auf einen Anhänger, und fuhr damit durch die Lande – Vorbild für das originelle Arrangement von Schuco in 1:43. Mit 14 Exemplaren erreichte die Mopetta die größte Stückzahl aller Brütsch-Entwürfe, wobei sich alle einzelnen Fahrzeuge in Details unterschieden (Behelfsverdeck, Scheibe, Heizung, Scheibenwischer usw.).

Die Mopetta kam von allen Brütsch-Prototypen einer Serienfertigung in großem Stil am nächsten. Brütsch gründete die „Mopetta GmbH“, Geschäftsführer war Georg von Opel, Opel-Händler und Enkel von Adam Opel, der 1958 die „Opelit Mopetta“ in den frei gewordenen Anlagen von Horex bauen wollte – mit anvisierten Stückzahlen in der Größenordnung des Goggo oder der Isetta. Eine erneute Marktanalyse erzwang dann aber den Stopp aller Produktionsträume. Für Egon Brütsch führte diese Entscheidung zum Ende aller Entwicklungsaktivitäten im Kleinwagensegment.

Mopetta oder Peel – welches ist das kleinere Auto?

Zur Mopetta können mittlerweile viele Fotos und Filmchen im Internet angesehen werden, darunter z.B. ein netter Film auf der Webseite „petrolicious“, in dem sich eine Mopetta in den Berufsverkehr der Londoner City wagt. Außerdem gibt es eine sehr ausführliche Wikipedia-Seite zu Brütsch und seinen Konstruktionen und speziell zur Mopetta, die hier als Quelle genutzt wurde. Noch umfangreichere Internet-Informationen, einschließlich Bild- und Filmmaterial, sind zum britischen Peel P50 verfügbar – der Peel gilt eigentlich als das kleinste in Serie gebaute Automobil „ever“. Der Film aus der Serie „Top Gear“ mit Jeremy Clarkson, der mit dem Peel durch die Flure des Londoner BBC-Gebäudes fährt, ist mittlerweile schon Legende.

Aber war der Peel wirklich das kleinste Auto – oder doch die Mopetta? Die Tabelle mit verschiedenen Daten zu den beiden Kandidaten, insbesondere mit diversen Abmessungen, zeigt kein eindeutiges Ergebnis: Der Peel war kürzer als die Mopetta, aber die Mopetta war niedriger, schmaler und hatte den kürzeren Radstand. Bei der Verknüpfung von Länge, Breite und Höhe (Addition oder Produkt) ist das Resultat ebenfalls nicht eindeutig. Ein anderes Kriterium könnte die Entscheidung bringen: Vom Peel wurden immerhin über 100 Exemplare produziert, eine echte kleine Serie also, während man bei der Mopetta mit ihren 14 Fahrzeugen, die sich auch noch voneinander unterschieden, nur mit viel Wohlwollen von einer Serienproduktion sprechen kann.

Brütsch Mopetta in Le Mans 1957

Eins hatte die Mopetta dem Peel allerdings voraus: Einen Start bei den 24 Stunden von Le Mans. Über den Grund, warum in der umfangreihen Le Mans-Literatur kein Hinweis auf die Teilnahme der Mopetta beim Rennen 1957 zu finden ist, kann man nur Mutmaßungen anstellen.

Mit etwas Glück wurde das Minerva-Team bei seinem letzten Le Mans-Besuch 2013 dann doch fündig: In einem Antiquariat für Bücher und Journals fanden sich zwei Artikel in alten französischen Zeitschriften über das Rennen von 1957, garniert mit einigen SW-Fotos, die die Mopetta beim Training, vor den Boxen und beim Rennen zeigen. Die folgenden Fotos sind Rekonstruktionen dieser SW-Fotos, die hier aus urheberrechtlichen Gründen natürlich nicht gezeigt werden können (die blaue Farbe der Mopetta ist daher nur eine Vermutung). Auf Basis der Texte in den alten Zeitschriften konnte folgendes rekonstruiert werden:

Der ACO schuf 1957 eine neue Hubraumklasse bis 50 ccm (Kleinst-Sportwagen, „Voitures de Sport le Plus Petit“), um dem damals aktuellen Trend der „Microcars“ gerecht zu werden. Eine einsame Mopetta war allerdings die einzige Meldung für diese neue Kategorie, daher erhielt das Fahrzeug auch keine Startnummer. Die Namen der beiden Piloten konnten nicht ermittelt werden, aber es ist zu vermuten, dass Egon Brütsch, der ja Rennfahrer war, selbst fuhr. Kopilot könnte Westenrieder Junior gewesen sein, der Sohn des Konstrukteurs des EBS Maserati. Das Brütsch-Einsatzteam nahm einige Veränderungen an der Mopetta vor: Die Motorleistung wurde auf 3 PS angehoben, außerdem wurde ein größerer Tank (25 Liter) eingebaut, so dass man damit ca. 800 km Renndistanz schaffen konnte – das Benzin/Ölgemisch reichte also bei einer erwarteten Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 50 km/h für 16 Stunden. Man hoffte, nach 24 Stunden eine Gesamtdistanz von über 1000 km zu erreichen. Der größere Tank (unter dem Fahrersitz) erforderte übrigens die auf den Fotos sichtbare recht hohe Sitzposition der Piloten. Das war aber ohnehin nötig, denn die Plexiglas-Frontscheibe (ohne Scheibenwischer) verhinderte eine gute Sicht nach vorn, zumal bei Regen, so dass die Piloten lieber über den Scheibenrand hinweg sahen – eine damals übliche Maßnahme auch bei den großen offenen Sportwagen.

Le Mans 1957: Vorbereitungen zum Rennen

Le Mans 1957: Training

Le Mans 1957: Eines der wenigen Bilder von der Rennstrecke

Leider verlief der Auftritt der Mopetta unglücklich. Obwohl man der Forderung des ACO folgte und immer am äußersten Rand der Rennstrecke fuhr, beschwerten sich viele Piloten der großen Boliden über einige kritische Situationen aufgrund der Geschwindigkeitsunterschiede. Diese Sicherheitsprobleme hatten sich aber nach etwa drei Stunden erledigt, da die Mopetta beim ersten Fahrerwechsel leider nicht mehr ansprang und in der Folge vom Rennen zurückgezogen wurde – schade!

Der ACO entschloss sich nach diesen Erfahrungen und angesichts der geringen Resonanz der neuen Klasse, nach 1957 auf eine Kleinst-Sportwagenklasse zu verzichten und alle Fakten des Mopetta-Gastspiels aus den Statistiken zu löschen.

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