1971: Geburtsstunde der 1:43-Kleinserien

Ferrari 375 Plus, John Day Bausatz

In den 1960er Jahren war die Welt noch in Ordnung: In Deutschland, besser gesagt in Westdeutschland, sammelte man Wiking-Modelle in 1:87. Der deutsche Marktführer hatte z.B. immerhin 2 (zwei!) Porsche 356 im Programm (Coupé und Cabriolet). An zweiter Stelle standen Siku-Modelle im Maßstab 1:60, gefolgt von Matchbox, Nr. 1 in England, wobei deren Metallmodelle aber nicht einmal einen einheitlichen Maßstab hatten.Wer etwas mehr Taschengeld einsetzen konnte oder sich langsam vom Spielalter verabschiedete, leistete sich den Einstieg in die 1:43-Modellwelt, die von Diecast-Herstellern wie Corgi, Dinky, Solido oder Mercury beherrscht wurde. In Deutschland war das angesichts des noch bescheidenen Lebensstandards in den 1950er und 1960er Jahren noch die Ausnahme, international war der 1:43er Maßstab aber bereits gut etabliert. Entstanden aus dem traditionellen Vorkriegs-Modellbahnmaßstab „Spur Null“, waren Dinky, Mercury oder Solido schon in den 1930er Jahren aktiv, sie folgten dem Pionier „Tootsie Toys“, der bereits in den 1920er Jahren 1:43-Modelle produzierte.

1:43-Diecast-Modelle, Vorkriegszeit und 1950er Jahre

Solido (Frankreich, Nanterre, ab 1932), Dinky (Frankreich und Großbritannien, ab 1933), Mercury (Italien, Turin, ab 1932), Märklin (Deutschland, ab 1935), Norev (Frankreich, ab 1946), Corgi (London, ab 1956).

Die zweite, bereits deutlich bessere Generation von 1:43-Diecasts folgte in den 1960er und 1970er Jahren, und die Traditionshersteller wurden um weitere Produzenten ergänzt: Mebetoys, Poli­toys, Brumm, Rio (Italien), Gama, Schuco (Deutschland) oder Tekno (Dänemark).

Mehr und mehr wurden Ende der 1960er Jahre auch Renn- und Sportwagen in die Produktlinien aufgenommen, begründet durch die steigende Popularität vor allem der Prototypen- und GT-Rennen, die gerade das erregende Duell Ferrari gegen Ford und den Aufstieg Porsches vom kleinen Klassensieger zur Nummer 1 bei den Sportwagenrennen erlebten. Aus den Jugendlichen, die die Diecast-Modelle noch als Spielzeug nutzten, waren inzwischen erwachsene Rennfans geworden, die ihre Vitrinen mit 1:43-Modellen füllten. Solido war Ende der 1960er Jahre sicherlich der Qualitätsführer unter den Diecast-Herstellern.

Cunningham C5R, Le Mans 1953 (Dinky), Jaguar D, Reims 1954 (Dinky), Ferrari 750 Monza 1955 (Tekno)

Aber – Veränderung lag in der Luft!

Viele Sammler waren mit dem begrenzten Modellangebot der Diecast-Hersteller nicht mehr zufrieden, versuchten zunächst, die Lücken durch Modifikationen oder gar durch Eigenbauten zu schließen. Die Rebellion gegen die Großserien-Beschränkungen begann – von einzelnen Sonderlingen abgesehen, die schon früher Einzelstücke als Eigenbauten produzierten (wie etwa der Journalist und Buchautor Cyril Posthumus) – Anfang der 1960er Jahre am häuslichen Küchen- oder Basteltisch, vor allem in England, Frankreich und Italien. Barry Lester, Dave Gilbert und Paddy Stanley aus Großbritannien, Jacques Greilsamer aus Frankreich oder Carlo Brianza und Michele Conti aus Italien waren die zunächst nur Insidern bekannten Schöpfer von Einzelmodellen „from scratch“ oder auf Basis vorhandener Diecasts. Sie stellten ihre Eigenbauten auf Modellbautreffen und in kleinen „handgemachten“ Modellzeitschriften vor und legten auf Wunsch auch Kleinstserien für den privaten Freundeskreis auf, experimentierten auch schon mit der Weißmetall-Zentrifugaltechnik für kleine Serien, die zum Teil aus der Herstellung von Modeschmuck oder von Kleinserien-Zubehör für Modelleisenbahnen stammte.

Bald erhielten diese Kleinserien-Fertigungen auch bereits Namen wie „Autokits“, „Wills Finecast“ oder „Marc Europa“. Reg Bishop von „Autokits“ und später „Wills Finecast“ stellte allerdings vorwiegend 1:24-Bausätze her. „Marc Europa“ (Brian Jewell) hatte einige wenige recht simple 1:43-Bausätze im Programm. Etwas später, Ende der 1960er Jahre, kam Paddy Stanley mit einem kleinen Bausatzprogramm hinzu, u.a. mit Mercedes- und Auto Union-Grand Prix Fahrzeugen der 1930er Jahre. Von einem systematisch aufgebauten Modellprogramm mit professionellem Vertrieb war man aber immer noch weit entfernt.

Wills Finecast Katalog

Mercedes-Benz W125 Grand Prix 1937, Modell Paddy Stanley

März 1971 – ein neuer Schritt vorwärts:

Das änderte sich mit einem Schlag im März 1971. Im englischen „Model Cars“-Magazin erschien in der Rubrik „Collector´s Corner“ ein Artikel, der die Modellwelt verändern sollte: John Day aus Birmingham stellte seine „Serie 100“ vor – eine Palette von 1:43-Metallbausätzen, mit wunderbaren Rennsport-Juwelen wie dem Mercedes Grand Prix Rennwagen von 1914 (Modell Nr. 101), dem Ferrari 375 Plus Le Mans Sieger 1954, dem Chenard & Walcker Le Mans Sieger 1923 oder dem Alfa Romeo 8C 2900B Spider Corsa, Mille Miglia 1938. Dave Gilbert war John Days erster Modellbauer, die Bausätze wurden für 1,50 Britische Pfund von John Day selbst an die begierigen Sammler verschickt – die nächste Stufe der 1:43-Modellwelt war gezündet: Vom Küchentisch-Bastler zur Kleinserien-Produktion, bei der ein kleines Team zusammen mit Teile-Lieferanten (Reifen, Felgen, Decals usw.) eine ganze Serie von Bausätzen (ca. 2-3 neue Modelle pro Monat!) ins Programm nahm und auch den Vertrieb organisierte oder über ein eigenes Modell-Geschäft verkaufte. John Day war der Pionier der ersten professionellen White Metal-Bausatzserie, führte auch eine Reihe neuer Gusstechniken ein, auf die ich hier nicht näher eingehe, und produzierte darüber hinaus auch Modelle für andere Hersteller wie Auto Replicas, Grand Prix Models oder „SD“ (die erste 1:43-Bausatz-Serie von Danhausen in Aachen). Ein paar Jahre später zog John Day nach Malvern an der Grenze zwischen England und Wales, wo er in guter Nachbarschaft der Morgan-Manufaktur eine kleine Produktionsstätte hatte – ich kann mich noch gut an meinen Besuch bei ihm im Jahr 1976 erinnern. 2006 ist dieser Pionier des Modellbaus verstorben.

John Day Serie 100 – Teil des Katalogs

John Day-Bausatz: Ferrari 250 Testa Rossa, Sebring 1958

John Day-Bausätze, Le Mans Sieger: Talbot-Lago T26GS (1950), Jaguar XK120C (1953), Ferrari 375 Plus (1954)

Chenard & Walcker, Le Mans Sieger 1923, John Day-Bausatz

In der Folge traten in wenigen Jahren eine ganze Reihe neuer Kleinserien-Hersteller auf den Plan, so dass es schon Mitte der 1970er Jahre ein umfangreiches und vielfältiges Angebot von 1:43-Bausätzen gab, darunter auch schon erste, noch recht grobe Versuche mit Resine-Material (z.B. Rampini Modelli, made by Carlo Brianza). Die Übersicht zeigt, dass England und Italien hier die Pionierarbeit leisteten. Aber auch die Distribution der Modelle wurde auf neue, professionelle Füße gestellt: Einerseits durch Modell-Geschäfte, z.B. Manou in Le Mans (Jacques Simonet), Modelisme in Paris (Jacques Greilsamer), Grand Prix Models (ab 1972 in Radlett bei London, Brian Harvey) oder Danhausen in Aachen (Gebrüder Lang); andererseits durch Versandhandel, wiederum mit Danhausen und Grand Prix Models sowie Mikansue (Mike and Sue Richardson, England), Tron in Loano (Italien) und Modell International Walldorf (Duve und Schulz, Deutschland) und schließlich durch Magazine und Kataloge, die versuchten, die Modell-Fülle in den Griff zu bekommen. Den jährliche Danhausen Modelcar-Katalog gab es ab 1971, Four Small Wheels von Brian Harvey erschien sogar fast monatlich, und der Tron Katalog (TSSK, 2-3 mal im Jahr) war das italienische Pendant zur Danhausen-Bibel.

Danhausen-Katalog 1975 (Titelseite)

Kataloge: Danhausen, FDS, Four Small Wheels

Tron-Katalog (TSSK) und Danhausen-Katalog

Four Small Wheels, Ausgabe 1979 (Titelblatt)

Das Journal „Four Small Wheels“ von Grand Prix Models war 2011, als dieser Bericht entstand, über den Postversand oder online erhältlich (10 Ausgaben pro Jahr, in englischer Sprache), und den kleinen Modell-Laden von Jacques Simonet im Zentrum von Le Mans gab es bis 2014, dort wurden sogar noch Original-Bausätze von Manou und John Day verkauft.

Parallel zu Handel und Versand entstanden in den 1970er Jahren Modellbörsen, z.B. die berühmte Tauschbörse in Aachen ab 1972, und Modell-Clubs, zunächst der Ferrari Model Club (1973) und der CMF (Club der Modellauto-Freunde), und Ende der 1970er Jahre der Porsche Modell Club.

Bauanleitung für Grand Prix-Models Kit (Metall, 1:43), Aston Martin DB4GT Zagato

Manou in Le Mans lieferte bis 2014 noch diese Art von „Katalog“

„Bauanleitung“ zu einem der „berüchtigten“ Modelos 3J-Bausätze

Aston Martin DB1 Sieger 24 Stunden von Spa 1948, Bausatz von Mikansue

Gordini T 24GS, Le Mans 1954, Bausatz von Manou Le Mans

Porsche 356 C Metallbausatz 1:43 von Minichamps

Neue Trends ab 1975

Aber die zweite Hälfte der 1970er Jahre ist bereits eine andere Geschichte – Stufe 3 der 1:43-Rakete, geprägt von einigen neuen Trends:

  • Metallbausätze in neuer, bisher unerreichter Qualität (André Marie Ruf mit AMR und BAM-X)
  • Kleinserien-Fertigmodelle, zunächst von Western Models
  • Resine-Bausätze erobern den Markt (1977 MRF, danach 1979 Record)
  • Qualitätsverbesserungen bei den Felgen, den Zubehörteilen und den Scheiben, Photo-Ätztechnik

Ende der 1970er Jahre hatte der Markt von Kleinserien-Bausätzen dann wohl seinen Höhepunkt erreicht: Es gab in Europa nicht weniger als 80 Hersteller, und noch waren sie unbehelligt von Diecast- oder Resincast-Modellen vergleichbarer Qualität, made in China. Dies sollte sich erst Ende der 1980er Jahre mit dem Einstieg von Minichamps in den Diecast-Markt ändern.

Porsche-Modelle der ersten 1:43-Kleinserien-Generation

Porsche-Modellsammler interessieren sich bei dieser Geschichte besonders für Porsche-Bausätze der ersten Generation der 1:43-Kleinserien. Die Auswahl von Porsche-Bausätzen war in den ersten Jahren bis etwa 1975 tatsächlich nicht groß: Die fabelhaften 917 wurden bereits von Diecast-Herstellern in unterschiedlicher Qualität (von Solido bis Champion) angeboten, gleiches galt für die Modelle 906, 910 oder 908. Und die Jahre, in denen Porsche mit seinen 935, 936 oder 956 die Sportwagen-Szene beherrschen sollte, was dann eine Fülle neuer Modelle zur Folge hatte, standen ja noch bevor.

Der erste 1:43-Kleinserienbausatz in 1:43 war sicherlich der 904 GTS von Marc Europa. Ich kenne das Modell leider nur von Abbildungen in Zeitschriften. Als nächstes folgte der 356 Speedster (Baujahr 1957) von Auto Replicas, vermutlich „made by John Day“. Die anderen Porsche-Bausätze der frühen 1970er Jahre kamen von John Day (Serie 100) und Brian Harvey (Classic Cars) in Form verschiedener Rennsport-Vari­anten der 1950er Jahre (550 Coupé und Spyder, 718 RSK). Bemerkenswert war auch das Angebot vom Marque Products (ab 1974): Man hatte vier interessante Porsche-Modelle im Programm, vom 1948er „Nr. 1“  Prototyp bis zum 904 GTS von 1964. Besonders aktuell war Danhausens „SD“-Serie: Dort nahm man bereits 1974 den Sieger der Canam-Rennserie des Vorjahres, den 917-30 Sunoco, ins Programm, wiederum „made by John Day“.

Porsche 550 A Spyder Le Mans 1957, Bausatz John Day (Mini Auto)

Porsche 718 Spyder Le Mans 1958, Metallbausatz von Precision Miniatures

Übersicht: Modellbau in 1:43, die Geschichte bis 1975

Quellen:

In Brian Harvey´s „Four Small Wheels“ finden sich Kurzberichte zum Thema in den Ausgaben 9/1995, 7/1996, 8/1996, 3/1998 und 10/1999. Außerdem wird die Historie der Kleinserien-Bausätze im Buch von Matthias Braun, Modellautos von Meisterhand (Battenberg, 1997), geschildert.

Weitere interessante Internet-Quellen zur Geschichte der Modellautos: „alfisti“ und „modellautohomepage“.

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